In der öffentlichen Diskussion wird die Arbeitswilligkeit von Langzeitarbeitslosen immer wieder in Frage gestellt. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat nun in einer Befragung von Hartz IV-Empfängern deren Arbeitsbereitschaft untersucht. Das Ergebnis: Hartz IV ist "nur selten ein Ruhekissen", nur bei einer kleinen Minderheit gibt es Hinweise auf eine fehlende Arbeitsmotivation.
Nach den Ergebnissen der IAB-Studie gehen 65 Prozent der Langzeitarbeitslosen zwischen 15 und 64 Jahren einer Tätigkeit nach. Mit fast 30 Prozent sind die so genannten Aufstocker, die größte Gruppe der tätigen Langzeitarbeitslosen. Das sind diejenigen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen und trotzdem ergänzend Hartz IV benötigen. Die übrigen nehmen an einer beruflichen Weiterbildung oder an Fördermaßnahmen teil, kümmern sich um Kinder oder pflegen Angehörige. Bei über 50 Prozent umfasst die ausgeübte Tätigkeit mindestens 20 Stunden pro Woche und entspricht damit einer Halbtagsaktivität.
Mehrheit sucht einen Job und ist zu Zugeständnissen bereit
Laut IAB-Studie sind rund 60 Prozent der Hartz IV-Empfänger verpflichtet, eine Arbeit zu suchen. Aktivitäten wie Ausbildung, die Betreuung von Kindern und die Pflege von Angehörigen oder auch gesundheitliche
Einschränkungen können dazu führen, dass die Verpflichtung zur Arbeitssuche - zumindest zeitweise - nicht besteht. Von den zur Arbeitssuche Verpflichteten geben knapp zwei Drittel an, in den letzten vier Wochen nach Arbeit
gesucht zu haben.
Dabei sind Hartz IV-Empfänger in hohem Maße bereit, Zugeständnisse an eine neue Arbeitsstelle zu machen: 80 Prozent würden eine Arbeit unterhalb ihres Qualifikationsniveaus annehmen, 65 Prozent würden ungünstigere Arbeitszeiten und 43 Prozent ein geringeres Einkommen in Kauf nehmen. Laut IAB-Studie weisen Hartz IV-Bezieher damit eine deutlich höhere Bereitschaft auf, auch eine Erwerbsarbeit unter schlechteren Bedingungen zu akzeptieren, als Arbeitssuchende ohne Leistungsbezug.
Vorurteile entlarvt
Für Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, räumt die Studie damit mit Vorurteilen gegen Hartz IV-Empfänger auf. "Die Studie entlarvt Pauschaläußerungen, Hartz IV-Empfängern mangele es an Arbeitswillen und sie hätten überzogene Ansprüche an eine neue Arbeitsstelle, als das, was sie sind: Stimmungsmache gegen sozial Schwache!"
Ernüchternd fällt das Ergebnis der Studie in Bezug auf die Erfolgsaussichten bei der Arbeitssuche aus: Nur etwas mehr als ein Viertel der arbeitssuchenden Hartz IV-Empfänger erhielt im Befragungszeitraum von vier Wochen eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Für die Forscher ist dies ein Indiz dafür, dass es nicht an mangelnder Motivation liegt, wenn Langzeitarbeitslose ohne Arbeit bleiben.
Geringe Erfolgsaussichten
Diejenigen, die eine Erwerbstätigkeit finden, müssen in der Regel deutliche Abstriche hinnehmen. Bei vielen reicht die Entlohnung nicht für einen vollständigen Ausstieg aus der Bedürftigkeit, sondern sie benötigen ergänzend Hartz IV. Bei diesen so genannten Aufstockern liegt der durchschnittliche Stundenlohn bei 6,60 Euro. Nicht viel höher liegt der durchschnittliche Stundenlohn bei denen, die mit der Erwerbstätigkeit den Ausstieg aus Hartz IV schaffen: acht Euro im Westen und 6,90 Euro im Osten. Zudem arbeiten viele unter ihrem Qualifikationsniveau, sind befristet beschäftigt oder in der Leiharbeit beschäftigt.
"Arbeitslosigkeit ist kein Anreizproblem. Es fehlen schlicht existenzsichernde Arbeitsplätze", kritisiert Hans-Jürgen Urban. Die Antwort auf dieses Grundproblem liege jedoch nicht in verschärften Zumutungen und Sanktionen gegen Arbeitslose, wie sie mit der Einführung von Hartz IV erfolgt seien. "Hartz IV hat das Problem der Arbeitslosigkeit nicht gelöst, sondern in erster Linie dem Lohndumping Tür und Tor geöffnet", beschreibt er die Folgen der Arbeitsmarktreformen. Dabei wirke Hartz IV nicht nur auf Arbeitslose, sondern auch auf Beschäftigte, erklärt Urban: "Aus Angst vor Hartz IV sind viele Beschäftigte zu Zugeständnissen bei Entgelt und Arbeitsbedingungen bereit."
Hartz IV grundlegend revidieren
Zu einem ähnlichen Schluss kommen auch die Forscher des IAB: Sie raten davon ab, eine noch härtere Gangart gegenüber den überwiegend motivierten Langzeitarbeitslosen einzulegen. Sie plädieren dafür, die Betreuung der Hartz IV-Empfänger zu verbessern und stärker auf ihre individuelle Situation einzugehen. Hans-Jürgen Urban geht das nicht weit genug: "Nötig ist eine grundlegende Revision von Hartz IV. Dazu gehören insbesondere neue Zumutbarkeitsregelungen, die vor Lohndumping schützen, anstatt es zu befördern: Die heutige Vermittlungspraxis gegenüber Langzeitarbeitslosen wirkt als Treibsatz für ungeschützte Leiharbeit und Niedriglöhne - dem muss ein Riegel vorgeschoben werden. Auch Langzeitarbeitslose müssen ein Recht auf tariflich gesicherte oder ortsübliche Löhne haben. Niemand darf dazu gezwungen werden, zu Armutslöhnen zu arbeiten."